Zwischen Zeilen und Eindruck
Warum gute Geschichten oft arrogant wirken

Tags: reflexion erfahrungen geschichten
Kategorien: Allgemeines Persönliches
Ich bin heute in eine Situation gekommen, die mich zum Nachdenken gebracht hat.
Ich hatte mit einer Freundin von mir über ein völlig banales Thema gesprochen,
es ging im Grunde nur darum, dass sie mir ein Bild gesendet hat, während sie spazieren war, auf dem man ein paar Pferde sehen konnte.
Wir hatten uns in diesem Zuge darüber unterhalten, dass wir beide Pferde mögen und auch, dass ich früher im Reitverein war.
Darauf meinte sie:
Was hast du eigentlich nicht gemacht
Das hat mich etwas zum Grübeln gebracht. Diese Aussage, wenn auch im Kern vollkommen harmlos, hat mich an etwas erinnert, was ich in meinem Freundeskreis schon länger beobachte.
Ich erzähle oft und gerne aus meiner Vergangenheit, von meinen ehemaligen Hobbys oder Erlebnissen, und ich habe das Gefühl, dass es oft so ankommt, als würde ich damit angeben wollen.
Wobei dieses Gefühl nicht ausgelöst wird, weil ich selbst darüber reflektiere, sondern weil ich es von anderen zu hören bekomme. Oder zumindest nehme ich es so wahr.
Noch einmal, ihre Aussage als solche wird unter keinen Umständen negativ gemeint gewesen sein. Aber es ist diese stumpfe Art, die mich immer wieder beschäftigt.
Ich glaube, ohne dass ich dabei übertreibe, dass die vielen Berichte meiner vergangenen Erfahrungen dazu geführt haben, dass Menschen um mich herum das Gefühl haben, ich wäre eine unglaublich erfahrene oder eben arrogante Person.
Wobei aus meiner eigenen Sicht zumindest das Erste definitiv nicht zutreffend ist. Natürlich habe ich wie viele andere auch schon das ein oder andere erlebt, aber was glaube ich nicht gut bei mir rüberkommt: Ich war nie jemand, der etwas bis zur Perfektion verfolgt hat. Ich habe vieles ausprobiert, aber selten etwas wirklich durchgezogen – und genau das geht oft in meinen Erzählungen unter.
Vielleicht liegt darin das eigentliche Missverständnis: Dass Erlebnisse und Erfahrungen in Erzählungen schnell größer wirken, als sie in der Realität waren – und dass Zuhörer dann vorschnell ein Urteil fällen. Und auch wenn das ein sehr allgemeingültiges Thema ist, so trifft es meiner Erfahrung nach auch sehr auf den IT-Bereich zu.
Wenn wiederholte Aussagen zur Prahlerei werden
💡 Info Box
I worked at Blizzard for 7 years
~Jason Thor Hall aka PirateSoftware auf Twitch
Das ist eine Aussage, die PirateSoftware, oder auch Thor, immer wieder in seinen Streams getroffen hat. Vor allem in der Vergangenheit.
💡 Info Box
Und auch wenn diese Aussage als solche der Wahrheit entspricht, habe ich öfter schon Posts dazu gelesen, in denen sich die Verfasser:innen über seine “Überheblichkeit” oder “Arroganz” aufgeregt haben.1 2
Es ist natürlich an diesem Punkt möglich, sich die Frage zu stellen, warum man sich überhaupt von solch einer Aussage einer Person im Internet angegriffen fühlen sollte.
Aber das wäre ein Rabbit Hole, in das ich an dieser Stelle nicht abtauchen möchte. Und auch geht es mir hier nicht darum, die Validität der “Arroganz” Vorwürfe zu diskutieren.
Das Beispiel anhand von PirateSoftware zeigt in meinen Augen aber perfekt, wie schnell eine Aussage, die eigentlich nur eine Information oder eine Tatsache darstellt, in den Bereich der Arroganz rutschen kann.
Denn im Kontext muss man berücksichtigen, dass Thor oft Fragen in seinen Streams mit bis zu 10.000 Zuschauern beantwortet, und dabei oft auf seine Erfahrungen bei Blizzard zurückgreift, um eben auch eine gewisse Expertise zu vermitteln.
Und auch ich habe mit der Zeit gemerkt, dass wenn ich in meinem Freundeskreis immer wieder gewisse Erfahrungen anbringe, diese dann oft als “Laberei” oder “Prahlen” wahrgenommen werden. Auch wenn, zumindest bis jetzt, niemand offen zu mir gesagt hat, dass sie das so empfinden.
Sender oder Empfänger?
Es ist interessant zu beobachten, wie die Wahrnehmung von Aussagen stark von der Perspektive abhängt.
Aus meiner Sicht habe ich einfach nur einen kleinen Pool an Erfahrungen, und wenn wir immer über ein Thema sprechen, das damit zu tun hat, bringe ich diese Erfahrungen ein. Oder weil meine Freunde mich inzwischen kennen, erwähnen sie diese von sich aus.
Aber aus der Perspektive meiner Freunde, oder auch von Zuschauern, kann das schnell so wirken, als würde ich damit angeben wollen. Als wollte ich mich wieder selbst in den Mittelpunkt stellen.
Jetzt kommt aber die Krux:
Wie soll ich vermitteln, dass ich gar nicht im Mittelpunkt stehen möchte, sondern einfach nur meine Erfahrungen teilen will? Oder sind wir, mich eingeschlossen, einfach zu sehr in unserer eigenen Wahrnehmung gefangen?
Messen wir uns selbst eventuell zu sehr an dem, was andere von sich erzählen, und vergessen dabei, dass jeder Mensch seine eigenen Erfahrungen hat?
Ist es also ein Sender- oder Empfängerproblem? Oder vielleicht sogar beides?
Ich bin bei Weitem nicht intelligent genug, um solch eine eher philosophische Frage zu beantworten. Aber ich glaube, dass es wichtig ist, sich darüber Gedanken zu machen.
Die eigene Wahrnehmung
Ich war schon immer, wie vorhin bereits angedeutet, immer sehr zufrieden damit, nur das Mittelmaß zu sein. Ich habe mich in der Vergangenheit gerne als “Max Mustermann” bezeichnet, weil ich einfach in allem Durchschnitt war und auch heute noch in meinen Augen bin. Ich hatte nie große Ambitionen, der Beste in etwas zu sein, sondern wollte einfach nur Neues lernen und als Mindestmaß dafür sorgen, dass die Menschen um mich herum nicht enttäuscht von meiner Leistung oder mir sind. Erfolg oder große Leistungen haben mich eher abgeschreckt, weil dies wiederum höhere Erwartungen in anderen weckt, welche ich fürchte, nicht erfüllen zu können.
Natürlich könnte man dann infrage stellen, warum ich z.B. streamen möchte, wenn ich doch gar nicht im Mittelpunkt stehen möchte oder Angst vor zu großem Erfolg habe. Aber für mich ist die Gewissheit einfach da, dass ich sowieso nie so groß werden werde, dass ich mir darüber wirklich Gedanken machen müsste.
Als Furry und Developer werden meine Streams in zwei Nischen verschwinden, die mich nicht sonderlich interessant für eine breite Masse machen. Und auch dieser Blog ist z.B. so eingerichtet, dass kaum Menschen diesen lesen werden. Basic SEO, keine Mailverteiler oder Social Media Promotion.
Die Wahrnehmung durch andere
Aber zurück zu meiner Freundin und ihrer Aussage.
Ich glaube, dass es wichtig ist, sich bewusst zu machen, wie unsere eigenen Erfahrungen und Erzählungen von anderen wahrgenommen werden.
Gleiche Freundin meinte vor einiger Zeit zu mir:
Ich habe mir bei Skorar schon oft gedacht, dass er nur labert […]
Danach ging es zwar darum, dass sich meine Erzählungen oft als wahr herausgestellt haben, aber der erste Teil dieser Aussage ist für mich das Interessante. Ich glaube, in meinem ganzen Leben ist das eines der wenigen Male, dass mir eine Person mehr oder weniger direkt gesagt hat, dass sie meine Erzählungen als “laberei” wahrnimmt. Und das hat mich zum Nachdenken gebracht. Und ehrlicherweise hat es mich auch etwas getroffen. Natürlich hat sie es danach dann direkt klargestellt, aber wie viele Menschen in meinem Umfeld haben gleiche Gedanken, ohne zu der gleichen Erkenntnis zu kommen?
Versteht mich bitte nicht falsch, es geht mir nicht darum, dass mir alle zwanghaft glauben müssen, was ich erzähle. Doch ist es mir schon sehr wichtig, dass ich das, was ich sage, vernünftig vermitteln kann. Und wenn man meine Aussagen als “laberei” wahrnimmt, dann habe ich dahingehend offensichtlich etwas falsch gemacht.
Wie oft z.B. kommt durch, dass ich eine absolute Niete bin, wenn es um z.B. Design geht? Dass ich einfach nicht gut darin bin, im Team zu arbeiten? Dass ich oftmals nicht so zuverlässig bin, wie ich es gerne wäre? Dass ich auch nicht ohne Grund in der Privatinsolvenz gewesen bin? Dass ich viele Beziehungen, sei es Freundschaften oder romantische Beziehungen, nicht aufrechterhalten konnte? Dass ich in meiner Jugend auch oft auf Unwahrheiten zurückgegriffen habe, um mich besser darzustellen?
Ich verstehe für mich, dass das definitiv ein Problem meiner Seite ist. Denn wenn ich diese Dinge nicht in dem gleichen Maße vermittele, wie meine “coolen” Erfahrungen, dann ist es kein Wunder, dass ich als “arrogant” wahrgenommen werde.
Warum gute Geschichten oft arrogant wirken
Um das Thema zum Ende zu bringen, möchte ich hier meinen Schluss ziehen.
Ich glaube, dass gute Geschichten oft arrogant wirken, weil sie in der Regel von Erfolgen oder besonderen Erlebnissen handeln. Diese Geschichten sind oft spannend und unterhaltsam, aber sie können auch den Eindruck erwecken, dass Erzähler:in sich selbst in den Mittelpunkt stellt. Das liegt daran, dass wir in unserer Gesellschaft oft Erfolg und Leistung über alles andere stellen. Wenn jemand von seinen Erfolgen erzählt, wird das schnell als Prahlerei wahrgenommen, auch wenn es nicht so gemeint ist.
Das Problem ist, dass wir oft vergessen, dass hinter jeder Geschichte auch eine Person steht, die diese Erfahrungen gemacht hat. Und diese Person hat vielleicht auch Misserfolge, Zweifel und Ängste erlebt. Doch wer ist jetzt in der Verantwortung, die Wahrnehmung zu ändern? Sender oder Empfänger?
Dieser Blogpost ist etwas, das abseits von meinen eigentlich geplanten Themen liegt. Aber da ich heute in diese Situation gekommen bin, wollte ich es einfach mal aufschreiben.
Vielleicht ist das Thema absolut uninteressant, oder ich komme einfach zu keinem Schluss, den man nachvollziehen kann. Aber ich hoffe, dass es zumindest ein paar Denkanstöße gibt, die vielleicht auch für andere interessant sind.
Liebe Grüße
Skorar
